Jelena Fužinato
In ihrem Text geht Jelena Fužinato den Veränderungen in Programm und Verständnis der KontextSchule aus Sicht einer ehemaligen Teilnehmenden und inzwischen Projektverantwortlichen nach.
#Schule #Körper #Zusammenarbeit
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Meine Erfahrung mit der KontextSchule begann in den Jahren zwischen 2016 und 2018, als ich als Teilnehmerin des Weiterbildungsprogramms Kurse besuchte. Ich versuchte, meine Rolle in der Schule aus der Perspektive einer ehemaligen Lehrerin und Künstlerin zu verstehen, die fasziniert war von der Schule als Institution und den Unterschieden, die das Schulsystem in jungen Jahren festlegt, und die sich später in allen Kontexten und Infrastrukturen reproduzieren. Die wichtigste Ressource der KontextSchule war für mich damals die Gruppe der Teilnehmer*innen, die sich dem Programm angeschlossen hatten. Vor allem das theoretische und explizite Wissen über Diskriminierungskritik, das in diesen zwei Jahren entstanden ist sowie die emotionale und existenzielle Involviertheit der Beteiligten, machten die unbeantwortbarsten und unaussprechlichsten Fragen möglich. Die vorübergehende Zugehörigkeit zu dieser Gruppe bedeutete für mich den Übergang von meiner eigenen Erfahrung hin zu fundiertem Wissen und die Politisierung persönlicher Erfahrungen. Ich fand Wege, diese auszudrücken und mich mit Pädagog*innen innerhalb und außerhalb der Schule zu verbinden.
Im Jahr 2021 wurde ich eingeladen, die Programmleitung der KontextSchule zu übernehmen, die ich mit meiner Kollegin Nataša Jagdhuhn teilte.
Zwischen 2016 und heute hat sich mein Verständnis der Verbindung Bildung-Kunst-Institution verändert. Die Erfahrungen, die ich in der Zwischenzeit als Programmverantwortliche der KontextSchule gesammelt habe, hat mir die Schwachstellen von künstlerisch-edukativen Methoden aufgezeigt. Nataša Jagdhuhn und ich haben erkannt, wie isoliert die Lehrer*innen von dem sie umgebenden Bildungssystem sind, dass die Finanzierung diskriminierungskritischer Programme (wie die KontextSchule) seit mehr als einem Jahrzehnt prekär geblieben ist, und dass die Bemühungen um das Sensibilisieren des Lehrkörpers für Formen von Diskriminierung weiterhin auf den Schultern einzelner Lehrer*innen oder Künstler*innen liegen. Wir konnten auch beobachten, dass die Arbeit der Sensibilisierung von unten nach oben (wie sie die KontextSchule tut) polarisiert und Rückschläge erzeugt, die dazu führen, dass Einzelpersonen, die diese Arbeit leisten, noch stärker in die Prekarität gedrängt werden. Damit meine ich auch dass die Polarisierung zwischen Bildungssystem (Pädagog*innen) und Kunstsystem (und Künstler*innen) weiterhin ein Hindernis in deren Zusammenarbeit darstellt.
Aufgrund dieser Erfahrungen und Beobachtungen möchte ich die KontextSchule nicht mehr als Ort für die Profilierung der eigenen Kompetenz und für die Vervollkommnung von Methodenwissen und die Aneignung von Fachwissen zur Problemlösung verstehen, sondern als einen arbeitenden Organismus, dessen Einfluss zerstreut und auf Mikroebene aktiv ist; dessen wichtigste Aufgabe es ist, die Komplexität unserer vielfältigen Lernerfahrungen zu bewahren, und den wir versuchen am Leben zu halten – trotz des Mangels an Ressourcen, dem er ständig ausgesetzt ist. Als ein sanfter politischer Organismus, der eine Praxis der Freiheit ist, wie bell hooks es formuliert (hooks 2014). Als eine Praxis des Verkomplizierens der Dinge, anstatt sie zu lösen, zu systematisieren und zu vereinfachen.
María Acaso schreibt: »In dramatic contrast to the figure of the traditional art teacher, we have to create the figure of the artEducator, an intellectual who works on the interesting crossroads of art and education, where both fields meet and their borders dissolve. This is an expert who promotes art as a pedago-gical [sic!] process and pedagogy as an artistic process, a professional with a hybrid profile who tears down the bipolarity of professional stereotypes that place artists and educators in opposite spheres, a professional whose work is genuinely intellectual, political and transfor-mative [sic!], along the same line as the Critical Pedagogy theorists who write about ›teachers as transformative intellectuals‹« (Acaso 2014)
Auch ich habe mich von der Vorstellung leiten lassen, dass interdisziplinäres Arbeiten möglich sei und eine Person die Komplexität für all das, was in einer Klasse und Schule passiert, und was das Lernen beeinflusst, halten könnte. Inzwischen denke ich, dass eine Person dafür nicht ausreicht. Es braucht ein Netzwerk, ein tiefes Verständnis von mehreren Subjekten, die das Wissen in ihren Körpern und nicht nur in ihren Gedanken mit in die Lernprozesse einbringen.
Die Schule ist ein Ort der Pluralität und als solcher ein riesiges sensibles und sich veränderndes soziales Feld, das in der KontextSchule schrittweise konkretisiert wurde. Primärer Zweck der KontextSchule ist die Fort- und Weiterbildung von Künstler*innen und Lehrer*innen für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, die viele Möglichkeiten der künstlerischen Forschung eröffnet und experimentelles Potenzial für die Gestaltung von Lehrmethoden zur Schaffung eines kritischen Bewusstseins für diejenigen birgt, die sowohl die Rolle der Lehrer*innen als auch die Rolle der Schüler*innen übernehmen. Sie wurde in Zusammenhang mit der Umsetzung des Rahmenkonzepts von kultureller Bildung in Berlin entwickelt mit dem Ziel, bessere Bedingungen für die kontinuierliche Zusammenarbeit von Lehrer*innen und Pädagog*innen mit Künstler*innen, künstlerischen Vermittler*innen und anderen Fachleuten aus Kultureinrichtungen zu schaffen (vgl. dazu Hummel 2011). Seit ihrer Gründung im Jahr 2008 hat sich die Agenda der KontextSchule mit den gesellschaftspolitischen Veränderungen und den neuen Erkenntnissen, die die Akteur*innen der KontextSchule in ihrer Arbeit mit Schulen erfahren haben, verändert. KontextSchule ist daher ein für Künstler*innen und Lehrer*innen geschaffener Raum, der von den Akteuren*innen, die die KontextSchule jeweils leiteten, konzipierten und darüber schrieben, mit verschiedenen Begriffen wie »Dritter Raum« (Zinke 2011: 5), »Safe space«[1], »Zwischenraum« (ebd.), aber auch »Streitraum« (Diallo/Erni 2018) identifiziert wurde. Seit 2014 fokussiert sich die KontextSchule stark auf den Schulraum als einen Raum pluralistischer sozialer Prägung, in dem Machtverhältnisse und vielschichtige Diskriminierungen auf systemischer und alltäglicher Ebene den Zugang zu Bildung und Chancengleichheit der Schüler*innen bedrohen. Kulturelle, pädagogische und politische Bildung sind einige der Schlüsselbegriffe für das Verständnis der Arbeit der Teilnehmer*innen und Leiter *innen des Programms.
Wenn meine Aufgabe wäre, die KontextSchule zu präsentieren, wäre die oben erwähnte Beschreibung eine Version in nüchterner, informierter Sprache. Der erste Absatz dieses Textes ist zwar richtig, reicht aber keineswegs aus, um die Komplexität der künstlerischen Wissensproduktion und ihre Rolle im sozialen Raum der Schule auszudrücken. KontextSchule ist für mich mehr als Schule und mehr als Kunst, weil ihre Ziele die Grenzen des Möglichen in beiden Systemen – Schule und Kunst – überschreiten.
Wenn ich also darüber sprechen sollte, was KontextSchule eigentlich ist, müsste meine Antwort jedes Mal anders ausfallen. Zurzeit möchte ich mir die KontextSchule als einen amorphen Organismus vorstellen, der sich in ständiger Kommunikation mit seiner Umgebung verändert, dessen Organe den Funktionen der Kommunikation, Unterstützung, Sicherheit, Heilung, Überschreitung, Spiegelung und Offenlegung unbewusster Machtverhältnisse innerhalb und außerhalb des eigenen Körpers dienen. Als Körper existiert er in mehreren Dimensionen: Er erzeugt Geräusche, Gerüche, bewegt sich, reagiert, handelt und vervielfältigt sich. Die KontextSchule als lebendes und wandelndes Wesen zu verstehen, dient nicht nur als bildliche Metapher, sondern hält auch das Bewusstseins dafür aufrecht, dass etwas Lebendiges auch veränderlich ist, auch etwas ist, mit dem wir kommunizieren, worüber wir uns austauschen und das wir unbewusst kennen. Das heißt, dass die KontextSchule ein sich permanent verändernder Ort ist, der auch den schulischen Kontext, in dem sie verankert ist, stets auf Mikroebene verändert.
Wenn wir Wissen als etwas Lebendiges behandeln, werden wir verstehen, dass es nicht nur ein Werkzeugkoffer von Antidiskriminierungsmethoden ist, sondern ein Körper, der fühlt und dessen Emotionen alle Funktionen und Beziehungen der Arbeit beeinflusst, die vielfach miteinander verflochten sind. Es geht darum zu verstehen, dass die Aufgabe der Bildung in sozialen Unterschieden und gegen Diskriminierung eine anstrengende und frustrierende Aufgabe ist. Dass das Verlernen von verwurzeltem Wissen nicht ausreicht und der Sensibilisierung der pädagogischen Praxis eine Krise vorausgeht. Um die Fähigkeit der emotionalen und kognitiven Entwicklung zu erhalten, muss die KontextSchule ein reifender Körper sein, der seine Thesen konkret im Unterricht denkt und praktiziert und sich parallel mit der Institution bewegt. Dieser Vergleich macht auch deutlich, dass Organismen vergänglich sind und vergessen werden können. So verstehe ich meine Rolle und die Rolle der an der KontextSchule beteiligten Menschen als diejenige, die die Spuren dieses sich ständig verändernden Körpers dokumentieren und sichtbar machen, in sich tragen und weiterverbreiten.
Die Vorstellung von Arbeit als ein hybrider kollektiver Körper ist eine strategische Herangehensweise. Indem wir der Arbeit Gesichter, Organe und Stimmen geben, betonen wir die Zusammenarbeit, bei der jede*r Teilnehmer*in am Arbeitsprozess dazu beiträgt, dass diese kollektive Einheit funktioniert. Gleichzeitig schützt uns diese Vorstellung vor individueller Überforderung, da sie die Verantwortung von eigenen Körpern auf den kollektiven Organismus überträgt. Ein solcher Organismus kann weiterleben, selbst wenn nicht alle gleichzeitig daran arbeiten.
(Mit "uns" und "wir" meine ich alle die über kurz oder lang an der KontextSchule gearbeitet haben, – unabhängig von ihren Absichten und Funktionen, und die in irgendeiner Weise davon berührt wurden.)
Wenn jemand einen Auftrag zur Diskriminierungskritik annimmt, basiert sein Wissen (im Idealfall) nicht nur auf formaler akademischer Bildung, sondern resultiert auch aus persönlichen Erfahrungen. Die Arbeit wurde getan, von einigen von uns ein ganzes Leben lang. »Ich mochte mich nicht mit dem verschanzen, was ich bereits kenne. Denn das, was ich kenne, habe ich mir nicht immer ausgesucht.«, schreibt Seyda Kurt, wenn sie über die Koexistenz von Fremden und Freund*innen schreibt (Kurt 2021: 113). Diesen Gedanken trage ich mit mir, denn das Gefühl, ein Fremdkörper zu sein, ist mir ganz selbstverständlich und die Stimmhaftigkeit, die eine solche Position mit sich bringt ist mir in der KontextSchule noch bewusster geworden. Wir stehen weiterhin vor der Herausforderung der Komplexität des von uns geschaffenen Organismus. In dieser Auseinandersetzung ist es entscheidend, dass wir während dieses Prozesses behutsam miteinander umgehen, da wir bereits an den Grenzen individueller Belastung arbeiten.
In dieser ständigen Veränderung, dem Austausch und der Kommunikation hat die KontextSchule eine Reihe von Fragen entwickelt, die all das widerspiegeln, was in mehr als einem Jahrzehnt des Gesprächs, Handelns und Dranbleibens am Problem gesagt und getan wurde. Aber trotz aller Aufmerksamkeit entdeckt das Netz der Fragen, das wir so sorgfältig für uns aufgebaut haben, immer mehr Leerstellen. Denn auch das Stellen von Fragen bedeutet eine Unterscheidung zwischen denen, die Fragen können, und denen, die es nicht können. Wer kann sich im diskursiven Raum der Hochschulbildung artikulieren? Ist Fragenstellen auch ein Instrument der Diskriminierung und Hierarchie? Wie können gebrochene Stimmen oder Nichtwissen in diesem Zusammenhang Zeit und Raum bekommen, und was passiert mit den Stimmen, die nicht mehr sprechen wollen?
Die Aufgabe, die sich die KontextSchule stellt, ist emotional aufgeladen. Es ist körperlich spürbar, wenn eine neue Generation die Fortbildung beginnt. Weil es um gesellschaftliche Diskriminierungen geht, deren Entwicklung nie aufhört, weil es um eine durchlebte Erfahrung geht, weil wir alle von ihren Folgen betroffen sind, weil die Schule ein Ort ist, den viele für too hard to handle halten. Deshalb wäre es wichtig, Komplexität, Amorphität und Sensibilität zu ermöglichen und ihnen Raum und Zeit im Bildungssystem zu verschaffen, Emotionen zum Schmelzen zu bringen und zu lernen, ihnen zu vertrauen. Dass die KontextSchule eine Testzone für practice based research (Vear 2021) sein könnte, deren Hauptziel darin besteht, darüber nachzudenken, wie Menschen Lernprozesse beitreten können, wie institutionelle Rahmenbedingungen erweitert werden können und wie Soziales vor Akademismus gestellt werden kann.
Anstatt also immer härter daran zu arbeiten, Methoden anzupassen, frage ich mich, was passieren würde, wenn wir von der professionellen Verbesserung und der harten Arbeit zur Imagination übergehen würden. Was, wenn es statt Klarheit noch komplizierter wird? Was geschieht, wenn dieser Körper, der sich durch unsere Erfahrungen entwickelt hat, mit anderer Nahrung gefüttert würde? Was würde passieren, wenn wir mit der Entwicklung von Methodik, Didaktik und künstlerischer Forschung innehalten würden? Wie würde dann dieser Körper die Schule als das wichtigste politische Terrain betreten, das wir alle zu teilen haben?
[1] Die Quelle hierfür sind zahlreiche Gespräche zwischen den Teilnehmer*innen über die Rolle der KontextSchule, in denen die Notwendigkeit eines solchen sicheren Raumes deutlich gemacht, gleichzeitig aber auch kontrovers diskutiert und oft abgelehnt wurde.
Acaso, María (2014): From Art Education To Art Education: Making The Education Revolution Into The Visual Arts Teaching Arena. In: Kolb / Meyer (Hg.) What’s Next? https://whtsnxt.net/179 (Zugriff am 1.12.2023)
Diallo, Aïcha / Erni, Danja: Ausschreibung zur Bewerbung für die KontextSchule 2018. http://kontextschule.org/Bewerbung/Download/KS2018_2020_PDFgr_Final.pdf (Zugriff am 1.12.2023)
hooks, bell (2014): Teaching to Transgress. Education as Practice of Freedom. Routledge
Hummel, Claudia (2011): KONTEXTSCHULE. Texte und Materialien zu einer Fortbildungsreihe für Künstler/innen und Lehrer/innen. Berlin.
Kurt, Seyda (2021): Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist. Hamburg.
Vear, Craig (2021): The Routledge International Hanbook of Practice Based Resarch. Routledge.
Zinke, Claudia (2011): Grußwort. In: Hummel, Claudia: KONTEXTSCHULE. Texte und Materialien zu einer Fortbildungsreihe für Künstler/innenund Lehrer/innen. Berlin.