Camilla Goecke
Während eines Besuches der Berliner Gemäldegalerie mit einer Seminargruppe der Universität der Künste Berlin im Jahr 2019 wurde mir als Student*in bewusst, wie unzeitgemäß die Präsentation der Sammlung bezüglich einer #2 post-/kolonialen Kritik ist.
Einstieg zu diesen Überlegungen bot mir das Gemälde Junge Dame vor dem Spiegel (Abb. 1), das zwei Figuren, im Vordergrund eine weiße Frau und im Hintergrund eine Schwarze Frau, abbildet. Die Frage eines Studierenden, welche »Rolle« die Schwarze Figur einnehme, beantwortete die seminarleitende Person mit »eine Magd«. Mich störte an der Antwort, dass sie den kolonial-historischen Kontext des Werkes, die Nebeneinander-Darstellung der beiden sowie die Perspektive des weißen Künstlers nicht benannte.
#1: Dieser Beitrag ist ein überarbeiteter und erweiterter Ausschnitt aus meiner Master-Arbeit mit dem Titel I N T E R V E N T I O N in der Berliner Gemäldegalerie – Konzeptualisierung einer post-/kolonialen Tour anhand ausgewählter Werke der Sammlung mit dem Schwerpunkt auf niederländische Malerei im 17. Jahrhundert aus dem Jahr 2021. Um in das wissenschaftliche, vermeintlich objektive Schreiben zu intervenieren, möchte ich im Folgenden meine Erlebnisse und Emotionen, die ich, als Schwarze Frau, begleitend zur Master-Arbeit bzw. in meinem Studium erlebt habe, komprimiert aufzeigen.
#2: Die Schreibweise unterstreicht u.a. dass Kolonialismus nicht als abgeschlossene historische Phase zu verstehen ist (zur Schreibweise vgl. auch Arndt/Ofuatey-Alazard 2019: 79).
Dieses Nicht-Benennen steht in einem weiteren Kontext, den ich hier ausführen möchte, denn das Nicht-Benennen dezidiert kritischer Inhalte oder auch das Ausweichen davor zogen sich wie ein roter Faden durch mein Studium. Die beschriebene Situation ist bezeichnend für etliche Seminare und Vorlesungen von weißen Dozierenden. Allgemein hat weißsein hier selten eine Rolle gespielt, weder in Bezug auf die besprochenen Inhalte, noch bezüglich der Position der Lehrenden. Immer wieder habe ich erfahren, dass es an mir oder anderen, vor allem BI_PoC-Studierenden, lag, bestimmte Inhalte in die Lehre hineinzureklamieren und ich spürte auch die gefühlte Verpflichtung auf »gravierende ›Fehler‹« hinzuweisen, wie Aretha Schwarzbach-Apithy es beschreibt (Schwarzbach-Apithy in Eggers et al. 2005: 250). Dabei haben die Dozierenden sich uns gegenüber selten offen verhalten oder sich selbst als Lernende verstanden, sondern verunsichert bis abwehrend reagiert, zum Beispiel durch Ignorieren oder auch eine Art Bloßstellen. Auf der einen Seite war ich hierdurch genötigt, mir bestimmtes Wissen und eine kritische Haltung anzueignen, auf der anderen Seite hat es mich sehr gestört und verärgert und ich habe mir immer wieder die Frage gestellt, wer macht welche Arbeit, auch in emotionaler Hinsicht? Da das Intervenieren zermürbend war, war meine Strategie, immer wieder erneut die wenigen Angebote vereinzelter Dozierenden zu besuchen, die sich selbst als lernend verstanden haben und offen und kritisch waren für neue, unbekannte Inhalte und das Wissen, das die Studierenden mitbrachten.
Kommen wir nun zurück zu dem Moment des Nicht-Benennens während des Besuches der Berliner Gemäldegalerie. Ich suchte daraufhin in den Ausstellungsräumen weitere Werke sowie kuratorische Antworten der Institution selbst. Ich fand etliche Werke mit ähnlichen Motiven, sie wurden jedoch ebenfalls unkommentiert präsentiert. Auch in dem Vermittlungsangebot und den Publikationen blieb die Thematik nahezu gänzlich unsichtbar. Anstatt die kolonial- und kunsthistorischen Kontexte der Werke und Sammlung zu erforschen und zu kommentieren, die eigene Geschichte und Haltung zu reflektieren und zu benennen, setzt die Institution auf eine einseitige, dominante Erzählung von »Meisterwerken« (Eissenhauer 2019; siehe Titel des Ausstellungskataloges) weißer, europäischer, überwiegend cis-männlicher Künstler. Die Gemäldegalerie trägt als Museum und staatliche Institution so zu einer kolonialen Kontinuität bei und übernimmt weder Verantwortung noch die Aufgaben eines Museums, das »[…] im Dienst der Gesellschaft und deren Entwicklung steht« (Internationaler Museumsrat 2010: 29). Erzählt wird ein dominantes Narrativ von Kolonialismus als ›positives‹ historisches ›Ereignis‹. Gewaltsame Aspekte des Kolonialismus und die selbstgerechte Aneignung der von BI_PoC hergestellten Objekte und deren handwerklicher und technischer Expertise durch weiße Europäer*innen werden nicht benannt, genauso wenig wie die soziale Realität oder Geschichten des Widerstands gegen die Kolonialisierung thematisiert werden. Durch die fehlende Kontextualisierung kann das heutige, insbesondere weiße Publikum unhinterfragt diese einseitige und unkritische Perspektive beim Betrachten der Bilder übernehmen und auf ihr »vertrautes rassifiziertes Wissensarchiv« (Al-Samarai 2011: 100) zurückgreifen – ohne, dass dieses irritiert wird; der »weiße Blick« (Micossé-Aikins 2019: 420f.) wird nicht gebrochen. Das Nicht-Kommentieren oder auch Unsichtbar-Machen bestimmter kritischer Inhalte verstehe ich als bewusste Handlung und Praxis des Museums, das »Schweigen [als] eine dominante Machtartikulation« (Ha 2020: 105).
Um in diese Ausstellungs- und Vermittlungspraxis zu intervenieren, habe ich das post-/koloniale Kommentieren als Strategie gewählt. Bevor ich das post-/koloniale Kommentieren beispielhaft anhand eines Werkes erläutere, ist es mir wichtig zu unterstreichen, dass eine Werkbetrachtung niemals objektiv sein kann. Zwei Aspekte sind dabei zu betonen: Zum einen lege ich einen Schwerpunkt und erzeuge somit gleichfalls »[…] [weiße] Flecken durch Nicht-Benennungen« (Greve 2013: 67), zum anderen ist das »was in einem Gegenstand gesehen und erkannt wird, […] immer abhängig von den kulturellen und historischen Kontexten, in denen und aus denen betrachtet wird« (Micossé-Aikins 2019: 420f.). Ich möchte damit unterstreichen, dass die Werkbetrachtung und die hierbei gesetzten Schwerpunkte auf bestimmte Inhalte aus meiner Perspektive erfolgen. Diese beinhaltet meine Erfahrungen und Position als Schwarze queere Person, die, unter einem intersektionalen Standpunkt in Bezug auf andere Kategorien, privilegiert ist. Wichtig ist weiterhin anzumerken, dass ich in meinen Studien (Kunstgeschichte und Lehramt Kunst und Geschichte) den klassischen Kanon der europäischen Kunstgeschichte sowie -pädagogik und somit vor allem eurozentrische(s) Wissen und Methoden erlernt habe, die ich zum Teil reproduziere. Ich verstehe mich somit als Lernende und bitte auch die Leser*innen dies zu tun – Wie lese ich die Bilder und warum? Was habe ich wo und wie gelernt, auf welches Wissensarchiv greife ich zurück? Insbesondere weiße Menschen müssen sich die Frage stellen, welche Perspektive und welchen ›Blick‹ sie aufgrund ihrer Position mitbringen: Was hat dein/euer weißsein hiermit zu tun? Welche Themen blendest du/ihr aus, was sind deine/eure ›weißen Flecken‹? Wie stark Widerstände bei weiß positionierten Menschen bei dieser Thematik sein können, haben mir #3 eigene Erfahrungen an der Uni gezeigt. Bleibt also anschließend die Frage, welche Emotionen und Widerstände bei dir/euch auftauchen und was du/ihr tun könnt, um dies zu ändern?
Für mich persönlich ist die Beschäftigung mit diesen Werken ambivalent, da ich jedes Mal aufs Neue mit einer problematischen oder auch eindeutig rassistischen Darstellung konfrontiert bin und dies unterschiedliche Emotionen hervorbringen kann, von Genervt-Sein bis Schmerz. Gleichzeitig sind für mich das wissenschaftliche Schreiben und die kritische Auseinandersetzung mit diesen Werken und deren Vermittlung empowernd. Wichtig ist hierbei die Frage, wie ich den Blick der weißen Künstler*innen, aber auch den der heutigen Betrachter*innen decodieren kann. Wie ich gleichzeitig Geschichten, die nicht erzählt werden, sichtbar machen kann; wie es mir gelingen kann, »[…] jene Perspektiven und Themen aufzuwerten, die innerhalb der bestehenden Ordnung keinen Platz beanspruchen« (Ha 2019: 183), wie Khien Nghi Ha es in Hinblick auf die post-/koloniale Kritik beschreibt.
#3: Besonders prägend war für mich eine Situation: Begleitend zu meiner Master-Arbeit musste ich in einem Kolloquium mein Thema vorstellen. Die Gruppe bestand aus der weißen Professorin (meiner Erstbetreuerin), ihren Promovierenden und einer weiteren Studierenden. Da ich davon ausging, die Personen im Kolloquium seien weiß positioniert (ein Fakt, der im Kunstgeschichte- wie im Lehramt-Studium nicht selten vorkommt), dachte ich vor der Präsentation bereits daran, dass ich sehr wahrscheinlich erklären muss, warum ich vorrangig ein weißes Publikum adressiere bzw. dieses um eine kritische Selbstreflexion bitte. Nachdem ich das Thema vorgestellt hatte, kam zunächst viel Lob und Interesse von der Gruppe. Auch die Professorin fand es zunächst sehr gut, dass ich insbesondere die ›Adressierung‹ angesprochen hatte. Kurz darauf kam jedoch die Frage einer Person, wieso ich dies tue, sie würde es nicht verstehen. Ich versuchte es zu erklären. Wir besprachen daraufhin andere Kritikpunkte. Erneut wurde jedoch die gleiche Frage von einer anderen Person gestellt. Langsam fühlte ich mich in diesem Raum unwohl und verunsichert. Ich versuchte es erneut zu erklären, was mir aufgrund meiner Verunsicherung und Nervosität nicht besonders gut gelang. Es folgte der Kommentar der einzigen anderen Studierenden, dass gerade in Bezug auf meine Arbeit die Einteilung der Adressat*innen über »Hautfarben« krass sei. Die Professorin kommentierte dies mit einem »Ja, absurd!«. Zudem behauptete die Person, ich hätte mir meine »Argumente« selbst genommen, da ich in der Präsentation benannt hatte, dass eine Werkbesprechung niemals objektiv sei und auch ich als Schwarze Person eurozentrisches Wissen reproduzieren würde, ich mich dementsprechend ebenso wie weiße Menschen verhalten würde und meine Bitte um Selbstreflexion vorrangig an ein weißes Publikum noch weniger Sinn ergäbe.
Nach dieser Sitzung, in der niemand von den anderen Anwesenden in diesem Moment intervenierte (wie oftmals in Seminaren geschehen), war ich sehr aufgewühlt und emotional. Ich entschied mich, mir eine*n neue*n Erstbetreuer*in zu suchen, da ich mich nicht ausreichend unterstützt fühlte und die Professorin auch nicht über das Wissen und die Kritik verfügte, die ich mir für meine Master-Arbeit wünschte. Ich informierte sie über den Wechsel, woraufhin sie emotional gekränkt reagierte und Unverständnis zeigte, ihre Reaktion und ihr Verhalten geradezu in Schutz nahm und zudem herausarbeitete wie kritisch sie in ihrer Lehre sei. Diese Situation hat mir erneut aufgezeigt, wie stark Widerstände bei weißen Personen in Bezug auf die Thematik sind und wie mir als Student*in immer wieder die Rolle der Erklärenden zugeteilt wird und ich gleichzeitig in extrem emotional anstrengenden Situationen durch anwesende Personen unzureichende Unterstützung erfahren habe.
Das wiederholte kritische Hinterfragen, (post-/koloniale) Kommentieren, Recherchieren und Sichtbarmachen ermöglichte es mir als Student*in in die bestehende (Ausstellungs-)Praxis der Gemäldegalerie und in die Uni-Lehre zu intervenieren und dem hier vermittelten ›Mainstream-Wissen‹ entgegenzuwirken. Und dies ist auch als Kunst- und Geschichtslehrperson in der Schule meine Strategie. Katja Kinder bringt es für mich auf den Punkt: »[…] kritisches Wissen müssen wir uns immer wieder neu erarbeiten und ausgraben. Kritisches Wissen geht leider recht schnell wieder verloren. […] kritisches Wissen ist fragiler, das Mainstream-Wissen scheint konstanter zu sein. Mainstream-Wissen haben wir alle gelernt. Wir müssen es bedacht und systematisch verlernen. Wir müssen immer genau hinschauen und unsere Parameter schärfen. Das Ironische ist, dass das kritische Wissen immer auch im Mainstream-Wissen enthalten ist, aber eben verdeckt.« (Kinder 2018 in: Piesche 2018: 35f).
Post-/koloniales Kommentieren am Beispiel von Junge Dame vor dem Spiegel
Abb. 1: Frans van Mieris d.Ä., Junge Dame vor dem Spiegel, 1665, Eichenholz, 31,5 x 24,8 cm. Credit: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt Public Domain Mark 1.0
Das Werk wurde von dem niederländischen weißen Künstler Frans van Mieris dem Älteren (d.Ä.) um 1665 angefertigt (vgl. Eissenhauer 2019: 270). Im Vordergrund des Bildes steht eine junge weiße Frau vor einem Tisch, der mit einem rot-gemusterten Teppich, von der Gemäldegalerie als #4 »Orientteppich« (ebd.) bezeichnet, bedeckt ist. Sie befindet sich in einem Innenraum. Es könnt sich aufgrund ihrer Kleidung und Tätigkeit des Ankleidens um ihr Schlaf- oder Ankleidezimmer handeln. Auch ein Mantel, der über einer Stuhllehne hängt, spricht dafür. Mit prüfendem Blick betrachtet sie sich selbst in einem Spiegel. Wie ein Scheinwerfer fällt das Licht auf sie, Stuhl und Mantel.
Insbesondere ihr #5 blasses Gesicht und Oberkörper mit dem weißen Mieder werden erhellt, während der restliche Bildraum und Hintergrund, in Brauntönen dargestellt, im Dunkeln bleiben. Nach der beschriebenen Situation mit der Seminargruppe im Museum, habe ich mich gefragt, wie die Gemäldegalerie das Werk kommentiert; was wird mir als Besucher*in hierzu vermittelt?
In einem ihrer zentralen Kataloge heißt es, das diese Genreszenen mit Personen, die den Betrachter*innen einen Einblick in ihre private Sphäre gaben ab der Mitte des 17. Jahrhunderts bei niederländischen, #6 weißen Künstler*innen beliebt waren. Das Thema der jungen weißen Frau vor dem Spiegel, der als Gegenstand auf Eitelkeit und Hochmut verweist, war verknüpft mit moralischen Aspekten und diente der Ermahnung. Wie auch andere zeitgenössische weiße Künstler*innen hat van Mieris das Motiv in seinem Werk mehrfach variiert. Oftmals finden sich ähnliche Darstellungen des Motivs, so dass sich ein enger Austausch unter ihnen vermuten lässt, zum Beispiel zwischen van Mieris und dem niederländischen weißen Künstler Jan Vermeer.
Sein zeitnah entstandenes Werk Junge Dame mit Perlenhalsband, auch in der #7 Sammlung der Gemäldegalerie, zeigt ebenfalls eine junge, (weiße) Frau bei ihrer »Morgentoilette« (ebd.: 266ff.). Auch wenn die Motive sich ähnlich sind, fällt auf, dass Vermeer die junge weiße Dame in seinem Werk alleine vor dem Spiegel abgebildet hat, wohingegen sich in van Mieris Werk eine zweite Figur findet: Eine junge Schwarze Frau, die hinter dem Tisch und neben der weißen Frau steht. Einfach gekleidet und harmonisch mit den Farben des Interieurs und der Kleidung der weißen Frau, hält sie ihr eine Holzschatulle mit vermutlich weiteren Schmuckstücken oder Accessoires bereit. Sie blickt mit leicht geöffneten Mund die weiße Frau an, die wiederum sich selbst im Spiegel betrachtet; ihre Blicke treffen sich nicht.
#4: In der niederländischen Malerei wurde der orientalisierte Teppich oftmals mit weiterem Interieur dargestellt, häufig auf einem Tisch liegend. Dies ist kein Beweis dafür, dass er als Objekt im Alltag derart benutzt wurde. Sein Motiv unterstreicht aber seine zeitgenössische Beliebtheit. Während sie vor dem 17. Jahrhundert nur vereinzelt zu finden waren, wurden persische und indische Teppiche ab da an in hoher Stückzahl in die niederländische Republik importiert und finden sich ungefähr in 1.000 Gemälden. Allgemein zeigt sich eine selbstgerechte, kulturelle Aneignung von Objekten aus kolonialisierten Regionen seitens der weißen Künstler*innen (vgl. Philipps in Brinkmann et al. 2020: 30ff).
#5: Van Mieris folgt hiermit dem europäischen »Schönheitsideal« (Wolf in Hölz et al. 2004: 27), wie es ab dem 16. Jahrhundert für Frauen galt: »›[…] ein milchig weißes Gesicht, einen weißen Hals und eben solche Hände und Brüste […]‹« (ebd.).
#6: Bisher ist davon auszugehen, dass die Künstler*innen, wie auch ihr Publikum bzw. die Auftraggeber*innen weiß positioniert waren (vgl. Kolfin/Runia 2020: 8.) Mit dem ›Fett‹-Formatieren des Begriffs möchte ich unterstreichen, dass weißsein in dem Katalog, der Gemäldegalerie nicht benannt wird.
#7: Wirkt der Begriff ›Sammlung‹ zunächst unspezifisch, lassen sich viele kritische Fragen an ihn stellen: Fragen an Sammlungen von Museen, beispielsweise die der Gemäldegalerie, wären im Allgemeinen: Wie ist die Sammlung entstanden, was ist ihre Geschichte? Was wurde und wird als sammlungswürdig angesehen? Wer trifft diese Entscheidungen und welche Positionen werden in diesen Prozess nicht einbezogen? Welche Narrative erzählen die Sammlung und ihre Objekte in der Ausstellung? Sind es vielstimmige oder einseitige?
Zudem muss die Schwarze Frau zu der weißen hinaufblicken, da sie um einiges kleiner dargestellt ist. Sie ist für mich erst bei näherem Herantreten an das Werk und somit auf den zweiten Blick erkennbar. Das liegt auch unter anderem an dem kleinen Format des Gemäldes (31,5 x 24,8 cm), vor allem aber an der Verwendung von Licht und Schatten. Bewusst scheint van Mieris diese künstlerischen Mittel eingesetzt zu haben, um ›Hautfarbe‹ darzustellen; die weiße Frau ›erstrahlt‹, während die Schwarze Frau in der Dunkelheit eintaucht und nahezu in ihr ›verschwindet‹. Licht fällt lediglich auf ihr Haartuch und wird von einem Perlenohrring und ihren Augen reflektiert.
Die Erfindung von ›Hautfarbe‹ als historisches Konstrukt, findet seine Anfänge bereits in der Antike und gilt nach Susan Arndt als »[…] Grundbaustein in […] [der] Konstruktion menschlicher ›Rassen‹ […]. Zur Grundausstattung dieses Konstruktionsprozesses gehört es, einen kausalen Zusammenhang zwischen der Farbe von Haut, anderen körperlichen Konstitutionen und religiösen Merkmalen herzustellen« (Arndt 2019 in: Arndt/Ofuatey-Alazard 2019: 332)). In unserem Beispiel ist auffällig, dass die Gemäldegalerie das weißsein der weißen Frau nicht erwähnt, während sie die Schwarze Frau im Bild unter Einsatz rassistischer Fremdbezeichnungen und stereotyper Bilder folgendermaßen beschreibt:
»Im Schatten der Kammer ist eine #8 dunkelhäutige Zofe mit einem weiteren, metallbeschlagenen Holzkästchen an den Tisch herangetreten. Nur die sanften Lichtreflexe auf ihrem #9 Perlenohrring und der exotischen Tracht lenken die Aufmerksamkeit auf das Mädchen. […] In den am #10 Sklavenhandel beteiligten Niederlanden wurden #11afrikanische Hausdiener als exotische #12 Luxusgüter betrachtet und unterstrichen den großen Wohlstand ihrer Besitzer« (k.A. in: Eissenhauer 2019: 270).
Die eingangs beschriebene Situation mit der Seminargruppe, die problematische Beschreibung durch die Gemäldegalerie, die relevante Aspekte nicht benennt und die zitierte Beschreibung waren Auslöser dafür, das Bild und die Figuren in ihren Rollen und Funktionen post-/kolonial zu kommentieren.
Mieris folgt meiner Meinung nach mit dieser Darstellung eindeutig der europäischen Bildtradition der Portraitmalerei von weißer Frau mit Schwarzer Bediensteten. Als ›Begründer‹ dieses Bildtypus gilt der italienische weiße Künstler Tizian. In einem seiner Werke hebt er die hell dargestellte Hautfarbe der weißen Frau von der Dunkelheit des Hintergrundes ab und »beide Personen bilden durch ihre Kleidung eine farblich harmonische Einheit […]« (Wolf in Hölz et al. 2004: 20). Bei van Mieris Werk wird die farblich harmonische Einheit beispielsweise dadurch deutlich, dass die Schleifen an Kleid und Haar der weißen Frau den gleichen Blauton haben, wie das Kleid der Schwarzen Frau. Ihr Haartuch wiederum harmoniert mit den Farben des Teppichs. Einheitlich tragen sie ebenfalls beide #13 Perlenschmuck. Die harmonierende, einheitliche Farbwahl scheint hier als künstlerisches Mittel relevant, um die (Besitz-)Zugehörigkeit der Schwarzen Frau als Bedienstete zum Haushalt der weißen Frau zu unterstreichen. Hinsichtlich der Farbwahl könnte van Mieris sich an dem niederländischen weißen Künstlers Anthonis van Dyck orientiert haben, dessen Werk ebenfalls als vorbildlich für diesen Bildtypus gilt und einige Jahrzehnte vor Junge Dame vor dem Spiegel entstanden ist (vgl. ebd.: 22). Allgemein scheint sich der Künstler aber auch an anderen Werken orientiert zu haben, greift er doch dezidiert Aspekte aus
#8: Undifferenzierte, rassifizierende Benennung vor allem von Schwarzen Menschen. Kein Begriff der »politischen Selbstbezeichnung« (Sow in: Arndt/Ofuatey-Alazard 2019: 628)
#9: Schwarze Figur mit Perlenohrring findet sich häufig in der niederländischen Malerei ab Mitte des. 16. Jh. im Portrait von weißer Figur (Vgl. Hölz/Schmidt-Linsenhoff/Uerlings 2004: 20). Allgemein dient der Perlenohrring bereits seit dem Mittelalter als Attribut für die stereotype, rassifizierte Darstellung Schwarzer Figuren (Vgl. Greve 2013: 154).
#10: Die Kompanien der niederländischen Republik, waren neben französischen und englischen, die größten Versklavungshandelsunternehmen. Bereits um 1680 wurden durch diese Länder im Jahr durchschnittlich 10.000 Menschen ausschließlich vom afrikanischen Kontinent versklavt. Im weiteren Verlauf wuchs diese Zahl bis zu 80.000 Ende des 18. Jahrhundert (vgl. Arndt/Ofuatey-Alazard 2019: 110). Gegen Widerstand wurde gewaltsam vorgegangen (vgl. Nagel 2007: 80). Nichtsdestotrotz ist es wichtig zu unterstreichen, dass es immer wieder Widerstand von BI_PoC in unterschiedlicher Form gegeben hat – beispielsweise durch Kampf, Flucht, Verweigerung, Sabotage (vgl. Sint Nicholas 2021: 50).
#11: Exotisiert mussten sie als Bedienstete an Adelshöfen oder später auch bei wohlhabenden Bürger*innen
›arbeiten‹ (vgl. Wendt 2016: 199). Auch an »deutsche Adelshöfe« wurden insbesondere BI_PoC afrikanischer Herkunft verschleppt (vgl. Lauré al-Samarai in: Greve 2011: 106).
#12: »Dass der Blick auf etwas vermeintlich Exotisches ein eurozentrischer und (kolonial-) historisch geprägter Blick ist, wird verständlich, wenn mensch die Wortherkunft beachtet: ›Exotisch‹ bedeutet ›ausländisch‹ oder ›fremdländisch‹, ›überseeisch‹ und fand im Zeitalter der europäischen ›Aufklärung‹, des Kolonialismus und Imperialismus Eingang in die deutsche Sprache. ›Überseeisch‹ verweist auf dabei auf das Objekt der ›Exotik‹: Es sind die Menschen der damaligen europäischen Kolonien. […]. Da ›exotisch‹ […] [eine rassialisierte Form der Ästhetisierung] und somit ideologische Kategorie ist, erscheint es sinnvoll, von Exotismus bzw. der Praxis des Exotisierens zu sprechen« (Bendix u. Danielzik in: Arndt/Ofuatey-Alazard 2019: 633).
#13: In der europäischen Malerei ›erotisierten‹ Perlen allgemein eine Figur im Bild. In Bezug auf die Schwarze Figur bedeutet dies jedoch auch das Stereotyp vom Schwarzen Menschen mit verstärkter Libido zu bedienen, wie es vor allem ab dem 16. und 17. Jh. in europäischen Quellen in Erscheinung tritt (vgl. Wolf in Hölz et al. 2004: 29).
Einzelportraits von weißen Figuren mit Schwarzen Figuren in der Rolle der Bediensteten auf. Seit Ende der 1640er Jahre werden weiße Frauenfiguren in heller und leuchtender Kleidung dargestellt und die Kleidung der Schwarzen Figuren an ihre angepasst, aber insgesamt »dumpfer« wiedergegeben. Sie wurden ausschließlich in der Rolle der Begleitfiguren »aktiv« und gingen einer Tätigkeit nach (vgl. Kolfin 2020: 22). Bei van Mieris Darstellung wird das deutlich, indem die Schwarze Frau der weißen Frau die Schatulle bereithält.
Insgesamt wurden Schwarze Figuren durch diese Aspekte stärker in den Hintergrund gedrängt. Ihre Funktion war es zum einen den hohen Status der Portraitierten zu unterstreichen und zum anderen den Hintergrund des Bildraumes zwecks einer harmonischen Komposition zu definieren (vgl. ebd.). Schwarze Figuren zu Figuren im Hintergrund zu machen, erfüllt einen weiteren Zweck, denn »etwas zu malen, was fast unsichtbar und leicht zu übersehen ist, lohnt die Mühe nur, wenn es um die Visualisierung von Unsichtbarkeit, um die malerische Darstellung einer inkludiertes Exklusion geht«, wie Viktoria Schmidt-Linsenhoff bemerkt (Schmidt-Linsenhoff 2010: 252). Es geht in diesen Werken darum, Schwarze Figuren zu dehumanisieren und ihnen einen Subjektstatus zu nehmen (vgl. ebd.: 252ff). So wird gleichzeitig weißsein in der europäischen Malerei als »sichtbarer Wert« markiert (vgl. Wolf in Hölz et al. 2004: 27).
Ein weiterer zentraler Aspekt in van Mieris Werk ist die Politik der Blicke (Abb. 2): Während die weiße Frau sich selbst im Spiegel betrachtet, blickt die Schwarze Frau sie an und aufgrund ihrer kleineren Körpergröße zu ihr herauf. Das wird im Katalog der Gemäldegalerie folgendermaßen kommentiert: „Sein [sic!] leicht geöffneter Mund und der aufmerksam auf die Herrin gerichtete Blick spiegeln deren Faszination für das eigenes Spiegelbild“[24] . Diese einseitige Deutung der Blicke lässt aus, dass der auf sich selbst gerichtete Blick der weißen Frau ein Ignorieren der Schwarzen Frau impliziert. Mit der Darstellung von Blick und Mimik der Schwarzen Frau folgt der Künstler erneut dem bereits beschriebenen Bildtypus.
Abb. 2: Frans van Mieris d.Ä., Junge Dame vor dem Spiegel, 1665, Eichenholz, 31,5 x 24,8 cm, Gemäldegalerie, Berlin, Detail.
Denn der „kindliche“, „naive“ oder auch „bewundernde“ Blick der Schwarzen Figur, die zu einer weißen Figur hochblickt, findet sich auch in Tizians, und van Dycks Werken.[25] Das heißt, sie alle bedienen sich in ihrer Darstellung einem rassifizierten (CG) Stereotyp.
CG „[…] Der Begriff der Rassifizierung und seine Anwendungen als Verb (rassifizieren) oder Adjektiv (rassifiziert) beschreiben den Prozess der rassistischen Markierung [von Personen oder Gruppen],“ so Eggers. (Eggers/Auma in: Berlin 2018, S. 3).
Indem die Gemäldegalerie die genannten Aspekte nicht kommentiert und aufzeigt, wie „weiße Identität“[26] anhand beider Figuren konstruiert wird, funktioniert das Bild weiterhin als Darstellung einer rassistischen Aussage; ein Werk, das von einem weißen Künstler für ein weißes Publikum geschaffen wurde. Sie ermöglicht durch eine unkritische und sogar problematische Kommentierung, dass heutige, vor allem weiße, Betrachter*innen auf ihr „vertrautes rassifiziertes Wissens-Archiv“ zurückgreifen können. Es stellte sich mir die Frage, wie können wir weiter umgehen mit diesem Bild und seiner Aussage? Durch welche Aspekte kann der Blick der Betrachter*innen irritiert werden?
Dazu möchte ich zurückkommen, auf den Blick der Schwarzen Frau. Der „faszinierte“ Blick, der Bewunderung und zugleich Naivität ausstrahlt, ordnet sich der weißen Frau unter, wirkt widerstandslos. Für mich enthält er aber auch eine weitere Ebene: Das Moment der Beobachtung, das ich folgend anhand eines Zitates von Maureen Maisha Eggers aufzeigen möchte:
Die Konstruktion von Sklavinnen und Sklaven sowie von kolonialisierten Subjekten und rassistisch markierten ‚Anderen‘ gründet auf dem Mythos, dass sie observiert werden können, sie diesen observierenden Blick jedoch nicht zu erwidern vermögen. […] Wir sehen nur die positiven Projektionen von Weißsein […]. Wir sind den Bildern vermeintlich ausgesetzt und unterworfen, die durch weiße Identitätskonstitutionsinstanzen in zeitlicher und zeitspezifischer Kontinuität medial und diskursiv verbreitet werden. […] Tatsächlich trug sich ein enormer Fundus an Beobachtungen Schwarzer Bediensteten von Weißen zusammen. Ein spezifisches Schwarzes Wissen von kolonialisierten Schwarzen Subjekten […]. […] Schwarze Menschen haben Weiße immer ganz genau beobachtet – wenn auch unauffällig […] observiert, taxiert und analysiert. Schwarzes Wissen über weiße Hegemonie funktioniert somit als ein Wissensarchiv. Die ‚wohlwollenden‘ Maskierungen, die Schwarze Subjekte im Umgang mit Weißen performieren und tradiert haben, täuschen nicht darüber hinweg, dass wir uns schon immer eigene Bilder über Weiße und Weißsein gemacht haben.[27]
Auch wenn es sich bei dem Werk um ein fiktives Motiv und eine Konstruktion eines weißen Künstlers handelt und die Rolle der Bedienstete der Schwarzen Figur zugeordnet wurde, könnte sie ein Verweis auf die soziale Realität von BI_PoC in der niederländischen Republik im 17. Jhd. sein. Es stellt sich mir die Frage, welchen Tätigkeiten sie um die Zeit der Entstehung des Werkes nachgingen, wie ihre soziale Realität ausgesehen haben könnte? Wie wurde sie vom weißen Teil der Bevölkerung wahrgenommen und was verraten uns die Werke?
Es ist nicht eindeutig, ab wann Schwarze Menschen in der niederländischen Republik lebten; erste Quellen hierzu finden sich ab Ende des 16. Jhd. Ab diesem Zeitpunkt immigrierte eine Vielzahl sephardischer Jüd*innen aus Portugal und Spanien nach Amsterdam, die in ihren Haushalten Schwarze Menschen als Bedienstete beschäftigten, wie auch in einigen Werken dargestellt. Die Mehrheit von ihnen war also versklavt oder mit Versklavung verbunden. Auf Registern von Friedhöfen findet sich der unfreie Status beispielsweise vermerkt; sie werden als Sklav*innen betitelt. Es finden sich jedoch auch Belege von freien Schwarzen Menschen. Ab dem jähr 1644 war Versklavung in Amsterdam gesetzlich verboten. Das galt auch für Menschen, die versklavt in die Stadt kamen.[28] Auch wenn Versklavung in der niederländischen Republik verboten war, wurden Schwarze Menschen von der weißen Bevölkerung als unfrei betrachtet.[29] Lisa Lambrechts und Valika Smeulders vermerken hierzu ähnlich:
Officially, slavery did not exist in the Netherlands itself, but that did not prevent people from buying people abroad and bringing them back with them. Legally speaking, any enslaved person became free as soon as they sat foot in the Netherlands, but it remains very much in question whether they were treated as such. Archival documents reveal that young Black servants were generally referred as ‚M[…] (CG) ‘[…].[30]
GC: Zum Begriff: Bereits im 17. Jhd. eine geläufige rassistische Benennung von weißen Europäer*innen für BI_PoC und “Hautfarbe“ sowie ihrer Tätigkeit als Bedienstete zu arbeiten (Vgl. Amsterdam 2020, S. 26 u. Amsterdam 2021, S. 124 u. 128). Von Wichtigkeit ist, dass mit dem Begriff seit seiner Entsetzung immer eine negative Konnotation einherging und ein ideologisches Konstrukt von “Hautfarbe“ dahinter stand. Im deutschsprachigen Raum wurde der Begriff vom 16. bis 18. Jhd. nicht mehr nur für Menschen afrikanischer Herkunft, sondern für BI_PoC unabhängig ihrer Herkunft verwendet. Wie auch das N-Wort und die negative Assoziierung mit der Farbe „schwarz“ wurde der Begriff im Kontext der kolonialen Versklavung auf eine weitere Ebene rassistischen Denkens erhoben. „Die abwertende Konnotation, die […] sich im kolonialen Kontext erhielten, sind noch immer existent“ (Arndt/Hamann in: Arndt/Ofuatey-Alazard 2019, S. 650). Anstatt den Begriff zu nennen, sondern vom M-Wort zu sprechen, ist eine „Interventionsstrategie“ von 2006. Die Gruppe, die diese entwickelte, vermerkt hierzu folgendes: „‚Wir sind hier noch mit dem ganz eigenen Muster einer expliziten Verharmlosungstradition konfrontiert, und auf diesem Mist ist die von uns entwickelte Strategie, sich hier zu weigern, das N-Wort und das M-Wort auszusprechen und so sprechend oder schreibend zu reproduzieren, gewachsen‘“ (zitiert in: Greve 2013, S. 31). In Zitaten, die den Begriff ausschreiben, habe ich als Intervention die Klammersetzung gewählt.
Ab der Mitte des 17. Jhd. kamen zudem einige Schwarze Menschen nach Amsterdam, vornehmlich Männer, die als Matrosen bei den Kompagnien oder anderen niederländischen Schiffs- und Handelsunternehmen angestellt waren. Insbesondere Heirats- und Taufurkunden sind Hinweise auf eine Schwarze Community in der Stadt. Mehrfach sind Hochzeiten (CG) zwischen Schwarzen Amsterdamer*innen vermerkt.
CG: Ein Beispiel hierfür sind Bastiaan Ferdinando und Maria Bastiaans, die aus São Tomé und Angola kamen und im Jahr 1657 heirateten. Ihre Tochter Lucia wurde in Amsterdam getauft. Lijsbeth Pieters war ihre Taufpatin. Sie selbst heiratete 1649 einen brasilianischen Matrosen Pieter Claesz Bruin, der aus Brasilien als Matrose nach Amsterdam kam (Vgl. Amsterdam 2020, S. 55f.).
Weitere Dokumente zeigen auf, dass sie Trauzeug*innen oder auch Pat*innen ihrer Kinder in ihrer Community waren und allgemein in einem engem Kontakt standen. Die Vernetzung untereinander und das Aufbauen einer Community sollen vor allem durch Frauen (CG) organisiert worden sein; ihnen kommt eine zentrale Rolle zu.[31]
CG: Beispielhaft hierfür ist Francesca, die in den 1630er Jahren als „wichtige“ Person in der Schwarzen „Community“ galt, „newcomers“ in der Stadt begrüßte, bei sich in der Jodenbreestraat beherbergte und Vernetzungsarbeit leistete. In den 1650ern nimmt Lijsbeth Pieters eine zentrale Rolle hierbei (Vgl. Amsterdam 2020, S. 53ff).
Das lässt also auch vermuten, dass Schwarze Menschen zum Teil ähnliche Rechte, als die weiße Bevölkerung in der niederländischen Republik besaßen. Bei den Werken, in denen Schwarze Figuren in der Rolle der Bediensteten vorkommen, handelt es sich zwar um Konstruktionen von weißen Europäer*innen, die nichts desto trotz eine Realität Schwarzer Menschen, in der sie vermutlich von Weißen missachtet und ungerecht behandelt wurden, darstellt. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass sich Schwarze Menschen diesen zugeteilten Rollen willenlos gefügt haben. So gehen Lambrecht und Smeulders von „komplexen Beziehungen“ zwischen ihnen und ihren weißen “Arbeitgeber*innen“ aus. Sie fassen ihre soziale Realität als „ambivalent experience“ zusammen, die allgemein aus heutiger Perspektive schwierig zu erfassen bleibt.[32] Weitere dezidierte Informationen zu den Tätigkeiten und der Arbeit Schwarzer Menschen in der niederländischen Republik konnten bisher größtenteils nicht geklärt werden. Neben der Arbeit von Männern als Matrosen und vor allem Frauen als Bedienstete ist bisher lediglich bekannt, dass innerhalb Schwarzer Communities Zimmer oder einzelne Betten an andere Schwarze Menschen vermietetet wurden. Einige Schwarze Menschen schafften es auch Geld zu sparen (CG) und beispielsweise ihre eigenen Begräbnisse zu finanzieren. Es ist auch wahrscheinlich, dass Schwarze Menschen Arbeitsmöglichkeiten am Theater oder auch als Modelle für weiße Künstler*innen fanden.[33]
CG: Ein Beispiel ist zu Beginn des 18 Jhd. Christiaan van Africa, der als Kind von dem weißen Niederländer Daniël Verhoutert, der für die West-Indien Kompagnie im Versklavungshandel tätig war, in die niederländische Republik verschleppt wurde und dort für ihn als Bediensteter arbeitete. Es finden sich nur wenige Dokumente zu ihm, diese zeichnen jedoch das Bild eines „selbstbewussten“ Mannes mit eigenen Kapital ab, der zudem gut informiert war über für ihn „finanzielle und rechtliche Möglichkeiten“ (Vgl. Amsterdam 2020, S. 62-63).
In Amsterdam lebten viele Schwarze Menschen in der nahen Umgebung der Jodenbreestraat, in dessen Nähe beispielsweise der weiße Künstler Rembrandt van Rijn sein Atelier hatte. Indem Schwarze Menschen weißen Künstler*innen Modell gestanden haben, könnten sie ihre Individualität in den Kunstwerken stärker herausgearbeitet haben.[34] Denn neben dem Portrait findet sich, insbesondere von 1620-1660, eine Vielzahl von Darstellungen Schwarzer Figuren, in Werken unterschiedlicher Gattungen niederländischer Malerei, zum Beispiel in Stillleben, in Zeichenstudien oder auch in Genreszenen.[35] Auch wenn sich in einigen Archiven zahlreiche Namen finden, ist es bisher nicht möglich sie in Verbindung mit den Modellen zu bringen. Die Bilder weisen aber auf die wachsende Anzahl von Schwarzen Menschen in dieser Zeit hin, die sich eine eigene Community aufgebaut und zum Teil unabhängig von ihren weißen Arbeitgeber*innen und der weißen Bevölkerung agiert haben.[36]
Elmer Kolfin beschreibt die Zeichnung als „sensitive study“[38], nach Otto Naumann handelt es sich in der Zeichnung um das gleiche Gesicht wie das der Schwarzen Frau in Junge Dame vor dem Spiegel.[39] Die individuellen Gesichtszüge in dem Werk könnten dementsprechend ebenfalls dafür sprechen, dass die abgebildete Figur als Person real existierend und hat. Weder Kolfin noch Naumann machen jedoch biografische Angaben zu ihr. Das Werk ist in der Region Holland entstanden,[40] van Mieris lebte und arbeitete in Leiden.[41] So könnte die Person, die ihm Modell gestanden hat real existiert und in dieser Stadt gelebt haben. Ich habe bisher keine weiteren Informationen zu ihr gefunden. Die aktuellen Forschungen zu Schwarzen Menschen und ihrer Community in Amsterdam stehen beispielhaft für eine mögliche soziale Realität. Es ist der Versuch der Schwarzen Frau außerhalb des Bildes einen Subjektstatus zu ermöglichen.
[1] ↑ Schwarzbach-Apithy, A ., in: Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt 2005, S. 250
[2] ↑ Eissenhauer, Michael (Hrsg.) Gemäldegalerie. 200 Meisterwerke der europäischen Malerei, Leipzig 2019.
[3] ↑ Internationaler Museumsrat: ICOM Schweiz/Deutschland/Österreich (Hrsg.), Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, Zürich 2010, S. 29.
[4] ↑ Al-Samarai, Nicola L., Diasporisches Denken ex-zentrisches Kartografieren. Grundlegung der Wechselausstellung Homestory Deutschland – Schwarze Biografien in Geschichte und Gegenwart, in: Greve, Anna (Hrsg.), Kunst und Politik. Schwerpunkt: Museum und Politik – Konflikte und Allianzen, Bd. 13, Göttingen 2011, S. 97-113, hier S. 100.
[5] ↑ Micossé-Aikins, Sandrine, Kunst, in: Arndt, Susan/Ofuatey-Alazard, Nadja, Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache, Münster 2019, S. 420-429, hier S. 420f.
[6] ↑ Ha, Khien Nhgi, Macht(t)raum(a) Berlin, in: Eggers, Maureen M./Kilomba, Grada/Piesche, Peggy (Hrsg.), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2020, S. 105-117, hier S. 105.
[7] ↑ Greve, Anna, Farbe – Macht – Körper. Kritische Weißseinsforschung in der europäischen Kunstgeschichte, Karlsruhe 2013, S. 67.
[8] ↑ Micossé-Aikins (wie Anm. 4).
[9] ↑ Ha, Khien Nhgi, Postkolonialismus/Postkoloniale Theorie in: Arndt / Ofuatey-Alazard 2019, S. 177-184, hier S. 183.
[11] ↑ Vgl. K.A. in: Eissenhauer 2019, S. 270.
[12] ↑ Ebd.
[13] ↑ Vgl. ebd., S. 266ff.
[14] ↑ Arndt in: Arndt/Ofuatey-Alazard 2019, S. 332
[15] ↑ Ebd., S. 270.
[16] ↑ Wolf, Katja, „Und ihre siegreichen Reize steigert im Kontrast ein M[…]“. Weiße Damen und schwarze Pagen in der Bildnismalerei, in: Hölz, Karl/Schmidt-Linsenhoff, Viktoria/Uerlings, Herbert (Hrsg.), Weiße Blicke. Geschlechtermythen des Kolonialismus, Marburg 2004, S. 19-36, hier S. 20.
[17] ↑ Vgl. ebd.
[18] ↑ Vgl. ebd., S. 22.
[19] ↑ Vgl. Kolfin, Elmer, Black in the Art of Rembrandt’s Time, in: Kolfin, Elmer/Runia, Epco (Hrsg.), Black in Rembrandt’s Time, Ausst.kat. The Rembrandt House Museum, Amsterdam, 05.03.-31.05.2020, Amsterdam 2020, S. 12-37, hier 22.
[20] ↑ Vgl. Ebd.
[21] ↑ Schmidt-Linsenhoff, Viktoria, Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert. 15 Fallstudien, Band 1: Texte, Marburg 2010, S. 252.
[22] ↑ Vgl. ebd., 252ff.
[23] ↑] Vgl. Wolf (wie Anm. 14), S. 27.
[24] ↑ K.A. (Anm. 1), S. 270.
[25] ↑ Vgl. Wolf (wie Anm. 14), S. 20ff.
[26] ↑ Dietrich, Anette, Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von „Rasse“ und Geschlecht im deutschen Kolonialismus, Bielefeld 2007, S. 49.
[27] ↑ Eggers, Maureen Maisha, Ein Schwarzes Wissensarchiv, in: Eggers, Maureen M./Kilomba, Grada/Piesche, Peggy (Hrsg.), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2020,S. 18-21, hier S. 18f.
[28] ↑ Vgl. Ponte, Mark, Black in Amsterdam around 1650, in: Amsterdam 2020 (wie Anm. 17), S. 44-59, hier S. 49ff.
[29] ↑ Vgl. Amsterdam 2020 (wie Anm. 17), S. 22.
[30] ↑ Lambrechts, Lisa /Smeulders, Valika, Paulus. A ‚moor‘ in the dutch republic, in: Sint Nicolaas, Eveline/Smeulders, Valika (Hrsg.), Slavery. The story of João, Wally, Oopjen, Paulus, van Bengalen, Surapati, Sapali, Tula, Dirk, Lohkay, Ausst.kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 18.05.-29.08.21, Amsterdam 2021, S. 122-145, hier S. 124.
[31] ↑ Vgl. Ponte in: Amsterdam 2020 (wie Anm. 17), hier S. 52ff.
[32] ↑Vgl. Lambrechts/Smeulders in: Amsterdam 2021 (wie Anm. 28), S. 144.
[33] Vgl. Amsterdam 2020 (wie Anm. 26), S. 56.
[34] ↑] Vgl. Amsterdam 2020 (wie Anm. 17), S. 21 u. S. 57 (wie Anm. 26).
[35] ↑ Vgl. ebd., S. 21.
[36] ↑ Vgl. ebd., S. 57.
[37] ↑ Vgl. ebd., S. 29.
[38] ↑ Kolfin in: Amsterdam 2020 (wie Anm. 17), S. 29.
[39] ↑ Vgl. Naumann, Otto, Frans van Mieris as a Draughtsman, in: Master Drawings Association Inc (Hrsg.), Master Drawings Association, Nr.16 (1), New York 1987, S. 3-96, hier S. 11.
[40] ↑ Vgl. http://www.smb-digital.de/eMuseumPlus?service=direct/1/ResultLightboxView/result.t1.collection_lightbox.$TspTitleImageLink.link&sp=10&sp=Scollection&sp=SfieldValue&sp=0&sp=0&sp=3&sp=Slightbox_3x4&sp=0&sp=Sdetail&sp=0&sp=F&sp=T&sp=0 (Zugriff am 06.07.21)
[41] ↑ Vgl. Franits, Wayne, Dutch Seventeenth-Century Genre Painting, New Haven u. London 2008 , S. 204.