Xenia Dürr
In their Impulsvortrag gebärdete Xenia Dürr zur Frage, wie eine diskriminierungskritische Zusammenarbeit von Tauben Künstler*innen und hörenden Akteur*innen an Schulen aussehen sollte und beantwoertete im anschließenden Q&A Fragen.
Dazu wurde beim Book-Launch am 9.12.2023 ein vorab aufgezeichnetes Video gezeigt, welches live in deutsche Lautsprache verdolmetscht wurde. Aufgrund von Urheber*innenrechten kann dieses Video nicht veröffentlicht werden. Der vorliegende Text ist die Transkription der beim Launch gevoicten Verdolmetschung des Vortrags.
#Audismus #Taub Sein #Bildung #Kunst
◊
[Titelbild ist eingeblendet: Impulsvortrag. Audismuskritischer Blick auf das Bildungssystem. Xenia Dürr | 9.12.2023]
Hallo. Erstmal ganz vielen Dank […] für die Chance, dass ich hier einen Vortrag halten darf zum Thema »Audismuskritischer Blick auf das Bildungssystem«. Vielen Dank für diese Chance und auch dafür, dass diese Publikation dann online veröffentlicht wird. Das gibt mir die Möglichkeit, daran teilzuhaben. Das freut mich sehr. Vielen Dank!
Ich möchte mich einmal kurz vorstellen. Mein Name ist Xenia. Ich komme ursprünglich aus Österreich und bin erst vor kurzem nach Berlin gezogen. Ich bin eine europäisch weiße, queere Person und beruflich bin ich vor allem selbstständig unterwegs im Kulturbereich und gebe audismuskritische Beratungen. Und parallel studiere ich an der Universität der Künste im Kunstbereich. Und mein Spezialgebiet dabei ist die Fotografie. Bevor ich einsteige mit dem Thema, möchte ich gerne kurz einen Überblick geben über die Unterthemen, die ich heute anschneiden werde in dem Vortrag.
Anfangen werde ich gleich mit einem Bild, das ich euch zeige und da könnt ihr euch einfach kurz Zeit nehmen, um einmal das Bild anzuschauen und zu überlegen, was euch auffällt. Und anknüpfend an dieses Bild beginne ich dann zu erklären, warum ich es benutzt habe und gehe weiter mit dem Vortrag. Und dann steige ich erst mal in eine Definition des Konzepts Audismus ein und erkläre, was dessen Folgen sind und warum das wichtig ist für den weiteren Fortgang des Vortrags. Das ist wichtig, um dann auf die Fragestellung hier zu kommen, und zwar wie eine gute Zusammenarbeit zwischen Tauben[1] Kunstschaffenden und hörenden Akteur*innen an Schulen gelingen kann. Also – welche Schritte sind nötig, damit eine gute Zusammenarbeit entsteht? Und der erste Schritt dafür ist, dass ihr euch mit Audismus auseinandersetzt.
Und dann möchte ich kurz darauf eingehen, was aktuelle Themen im Kulturbereich und im Bildungsbereich sind und auf welche Grenzen da gestoßen wird aufgrund dieses Audismus[2]. Und am Ende habt ihr die Möglichkeit, mir Fragen zu stellen. Und in diesem Format heute können wir es so machen, dass ihr mir gerne per E-Mail schreiben dürft und ich mir Zeit nehmen werde, um die zu beantworten
[Wimmelbild wird eingeblendet und es gibt Zeit, um es sich anzuschauen]
Auf dem Bild ist euch ja sicher schon aufgefallen: Wir sehen viele verschiedene Menschen. Also wir sehen alte Menschen, blinde Menschen, Menschen im Rollstuhl. Wir sehen Queerness abgebildet in Form dieser Fahne dort. Wir sehen BI_PoC – eine Vielfalt an Menschen ist abgebildet, aber eine Sache fehlt, und zwar Taube Menschen.
Und das ist symbolisch für das Problem, was wir gesellschaftlich haben: Dass wir als Taube Community oft vergessen werden, dass wir oft nicht mitgedacht werden. Im Sinne von Verdolmetschungen organisieren. Das wird oft nicht oder ganz spät gemacht. Das ist eine große Hürde für uns und das liegt am Mangel an finanziellen Ressourcen oder an nicht genommener Zeit. Da geht es also um das Thema der Repräsentation. Und dieses Thema zu vermitteln fängt ja schon bei den Kleinsten an, in Form solcher Bilder: Wenn wir da nicht aufgeführt sind, sind wir nicht sichtbar. Wir werden erst sichtbar, sobald wir uns gebärdensprachlich unterhalten und dann sind wir auch in der Gesellschaft erst sichtbar. Und diese Repräsentation, zum Beispiel in Form gebärdensprachlicher Unterhaltung, fehlt in solchen Bildern. Deswegen möchte ich mit der Frage anfangen, worin die Schwierigkeit eigentlich liegt, dass wir so wenig repräsentiert sind. Damit möchte ich einmal kurz einsteigen.
[Folie wird eingeblendet: Repräsentation Tauber Menschen]
Wir Taube Menschen sind als Community sehr wenig repräsentiert in der Gesellschaft. Das liegt am System, das sehr audistisch aufgebaut ist. Audismus als Begriff ist noch nicht sehr weitverbreitet. Es gibt ja verschiedenste Diskriminierungsformen, sogenannte ›-ismen‹, wie Sexismus, Rassismus usw. Taube Menschen erfahren eine eigene Diskriminierungsform und die nennt sich Audismus.
[Folie wird eingeblendet: Definition von Audismus]
Audismus ist eine Art Geisteshaltung, in der sprechen und hören wichtiger sind als zu gebärden (vgl. Gegenfurtner o.J.). Das heißt, der Fokus ist auf das Hören gerichtet, auf das Ohr, auf die Fähigkeit zu hören: Wer nicht hören kann, wer Taub ist, ist defekt in dieser Vorstellung. Nicht hören zu können bedeutet, man ist minderwertig. Man ist kaputt. Man ist unfähig. Unfähig, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Es wird nicht darauf vertraut, dass Taube Menschen ohne »Hilfe« erfolgreich sein können. Hörende sind in dieser Vorstellung höher gestellt. Und diese Einstellung hat sich über Jahrhunderte in der Gesellschaft fest verankert und ist bis heute wirksam. Es wird davon ausgegangen, dass im Prinzip die beste Lösung ist, dass hörende Menschen über Taube Menschen bestimmen. Dass hörende Menschen am besten entscheiden können, was für den Lebensweg von Tauben Menschen das Beste ist. Und die Folge daraus ist, dass uns die Taube Kultur genommen wird, und dass wir extrem marginalisiert sind als Community. Es herrscht also historisch gesehen ein extremes Machtungleichgewicht.
[Folie zu Wirkungsebenen von Audismus wird eingeblendet:ideologisch, institutionell, individuell]
Bei Audismus unterscheiden wir drei Ebenen. Ich werde mich für diesen Vortrag eher auf die institutionelle Ebene konzentrieren, aus Zeitgründen. Audismus ist natürlich ein sehr, sehr komplexes Thema, was theoretisch viel mehr Zeit und viel mehr regelmäßige Auseinandersetzung bräuchte. Zum Beispiel in Form von Workshops. Anfangen zu erwähnen möchte ich die ideologische Ebene. Das ist diese Geisteshaltung, diese Einstellung gegenüber Sprache zum Beispiel. In dem Zusammenhang gibt es auch den Begriff Linguizismus. In diesem Konzept sind bestimmte Sprachen höherwertiger als andere. Zum Beispiel Englisch, Französisch oder Spanisch sind ja sehr hoch angesehene Sprachen und andere Sprachen wird nicht der gleiche Wert beigemessen. Das nennen wir Linguizismus. Und darin steckt auch die Philosophie, dass Sprache immer gleich sprechen ist; also mündlich sprechen, lautsprachlich sprechen, was aber nicht stimmt. Es gibt ja so viele verschiedene Kommunikations- und Sprachformen auf der Welt. Ideologisch ist eben auch – historisch gesehen – gesellschaftlicher Aspekte, religiöse Aspekte, in denen Audismus verankert ist. Auf der institutionellen Ebene können wir die Gesetze betrachten, in denen Audismus verankert ist, die mediale Repräsentation, in denen über Taube Communities gesprochen wird statt mit ihnen. Oder im Krankenhaus, wenn z.B. keine Verdolmetschung organisiert ist. An Universitäten oder an Schulen, also im Bildungssystem.
Als Audismus auf der individuellen Ebene betrachten wir Freundschaften, Familie, Kolleg*innen. Alle drei Ebenen sind natürlich ganz eng miteinander verknüpft. Ich werde die nicht alle erklären können. Ich wollte sie euch gegenüber einfach erwähnt haben, damit ihr wisst, dass man Audismus in diese drei Ebenen einteilt.
[Folie zu institutioneller Ebene von Audismus wird eingeblendet]
Und jetzt möchte ich noch mal einen genaueren Blick auf den Bereich institutionellen Audismus werfen. Und der greift vor allem in zwei große Lebensbereiche für die Taube Community: den medizinischen Bereich und den Bereich der Bildung.
Wenn wir uns jetzt mal vorstellen, ein Baby kommt auf die Welt und es bekommt die Diagnose »es ist Taub«. Das mündet bei vielen Familien erstmal schnell in Unsicherheit, wie damit umzugehen ist. Schnell wird dann zu medizinischen Hörtests, Logopädie, Hörgeräteversorgung oder sogar Implantierung eines Cochlea Implantats geraten. Und das ist im Prinzip dann oft der Start einer Art von Marathon, wo dann auch nicht inklusiv, also an Regelschulen beschult wird unter hörenden. Und das heißt die Tauben Kinder wachsen ganz oft in dieser lautsprachlichen, ausschließlich hörenden Umgebung auf, ohne Zugang zur Gebärdensprache. Sie müssen also quasi sprechen und hören üben. Sie sollen die gleiche Bildung genießen wie hörende Kinder, tun das aber de facto nicht, weil sie einfach viel hinterher bleiben. Es gibt Einzelne, die das schaffen, aber es ist ein unglaublich anstrengender Weg und die Mehrheit der Kinder wird nicht hinterher kommen in dieser hörenden Schulwelt ohne die eigene Sprache.
[Folie wird eingeblendet: Folgen]
Und jetzt, wo ich euch einen Einstieg gegeben habe in das Thema Audismus, könnt ihr euch vorstellen, welche gravierenden Folgen dieses audistisch aufgebaute Bildungssystem und allgemeine gesellschaftliche System haben kann für die Taube Community. Durch diese ideologische Ebene befinden wir uns in einer hörenden Norm. Und diese hörende Norm sagt: »Wir müssen sprechen können. Wir müssen hören können. Wir müssen uns der hörenden Norm anpassen«. Die Folge ist die Sprachdeprivation. Unsere Sprache, unsere Gebärdensprachen werden weggenommen, wir sollen nicht gebärden. Das hat enorme defizitäre Folgen sowohl auf die Sprach- als auch auf die sozial-emotionale Entwicklung. Wenn Taube Kinder in dieser hörenden Norm aufwachsen, dann hat das natürlich gravierende Folgen auf die Bildung. Wenn der Zugang zu Gebärdensprachen verwehrt wird und der Fokus aufs Sprechen gelegt wird. Es gibt vereinzelt Schulen in Deutschland, wo wir bilinguale Konzepte haben, in denen werden Taube Kinder gebärdensprachlich, lautsprachlich und/oder schriftlich unterrichtet. Aber die Mehrheit der Schulen fokussiert sich wirklich nur auf die Lautsprache.
Werfen wir einen Blick auf die Medien, sehen wir, dass zum Beispiel im Fernsehen ganz wenig oder keine Untertitel vorhanden sind. Es wird wenig bis kaum verdolmetscht. Das heißt, wir haben kaum Informationszugang in der Öffentlichkeit. Die Folge daraus ist, dass viele in der Community arbeitslos sind, dass die Arbeitslosenquote recht hoch ist. Denn wenn es schon in der Bildung in den ersten Schritten audistisch anfängt und wir uns der hörenden Welt anpassen, bleiben wir hinterher und finden weniger Arbeit. Ein weiteres Problem ist die Verdolmetschung. Sobald sich mehr und mehr Taube Leute der hörenden Welt anpassen sollen, ist die Außenwirkung: »Es braucht wenig Dolmetscher*innen«, aber das ist natürlich nicht der Fall. Durch die fehlende Verdolmetschung zum Beispiel können wir nicht an der Gesellschaft teilnehmen, können uns nicht politisch engagieren. Es braucht immer Zeit- und Geldressourcen, die da frei gemacht werden sollen, was eher die Ausnahme darstellt.
Auf der individuellen Ebene, also zum Beispiel innerhalb der Familie, ist es ganz häufig so, dass Kommunikationsbarrieren bestehen. 90 % der Tauben Kinder haben hörende Eltern. Das bedeutet also – man muss sich das vorstellen – die Kinder sind innerhalb einer Familie, die hörend ist. Die Kommunikation funktioniert lautsprachlich, das heißt, da fehlt ganz viel. Das ist ja im Endeffekt auch das Ziel des Systems: zu sprechen, zu hören und eben nicht die Gebärdensprache zu benutzen. 90 %, das ist echt eine ganze Menge. Das muss man sich mal vorstellen, wie das dann ausschaut, weltweit auch, wie viele Kinder sich anpassen müssen.
Und jetzt habe ich eben gerade von den Folgen erzählt. Jetzt würde ich ganz gerne noch mal ein Bild zeigen von den verschiedenen Ebenen und wie die verschiedenen Faktoren innerhalb dieser Ebenen miteinander interagieren, um es besser zu veranschaulichen.
[Folien werden eingeblendet: Faktoren und wie diese innerhalb der Ebenen interagieren]
Jetzt habe ich zu den Grundlagen von Audismus ein bisschen etwas erklärt. Ich kann mir vorstellen, dass es viele Informationen waren und es anfangs überfordernd ist. Es benötigt Zeit, zu verarbeiten, dass das System so aufgebaut ist. Wichtig ist, dass mensch sich weiter informiert und recherchiert. Jetzt, in so einem kurzen 45-minütigen Vortrag kann das gar nicht alles umfassend erklärt werden. Wichtig ist, einen kleinen Anstoß zum Thema Audismus zu geben und sich bewusst zu machen, dass das System super audistisch aufgebaut ist.
Ich würde jetzt noch mal zur Fragestellung zurückkommen, wie hörende Akteur*innen mit Tauben Künstler*innen zusammenarbeiten können. Und bevor so eine Zusammenarbeit startet, würde ich empfehlen, bestimmte Schritte im Vorhinein zu beachten.
[Folie wird eingeblendet: Wie schaut eine diskriminierungskritische Zusammenarbeit zwischen hörenden und Tauben Künstler*innen aus?]
[Folie wird eingeblendet: 1. Schritt: Wie können unterdrückte Minderheiten, in unserem Fall die Deaf Community, besser verstanden werden?]
[Folie wird eingeblendet: Unterdrückte Minderheiten. Historische Prozesse | Deaf History]
Zunächst ist es ja so, dass es verschiedene Minderheiten gibt und die Taube Community ist auch eine dieser Minderheiten. Das bedeutet, mensch muss versuchen, sich in sie hineinzuversetzen. Sich komplett hineinzuversetzen ist nicht möglich, aber sich mit Tauben Menschen und ihrer Geschichte zu beschäftigen und zu versuchen, das nachzuvollziehen schon. Wir alle wachsen auf in einem Bildungssystem, das uns bestimmte Bilder beibringt, die wir internalisieren und denken: »Taube Menschen sind so und so; Menschen mit anderen Behinderungen sind so und so.« Das sind Bilder, die wir fest verinnerlichen. Und Taube Menschen und deren alltägliche Diskriminierung erstmal zu begreifen ist wichtig. Dann kann man anfangen zu verstehen, dass diese Bilder so gar nicht stimmen und diese Bilder auch wieder zu VER-lernen. Das bedeutet, den Tauben Menschen, ihrer Geschichte und ihren Diskriminierungserlebnissen, ihren Kämpfen muss mensch erstmal zuschauen. Und ich sage zuschauen und nicht zuhören.
[Folie wird eingeblendet: 2. Schritt: Audismuskritisch werden und denken]
Der nächste Schritt ist, die Erkenntnis zu haben, dass Audismus existiert und audismuskritisch zu werden: Literatur weiter zu lesen, an Weiterbildungen teilzunehmen, mit Tauben Menschen in Diskurse zu gehen. Das ist sehr wichtig, dass Taube Menschen in diese Diskursen involviert werden. Oft finden die Diskurse nur unter hörenden/nicht betroffenen Menschen statt. Da wird dann über uns gesprochen. Wenn wir audismuskritisch sein wollen, dann ist es wichtig, zuerst die Seite der Tauben Menschen, selbst, der Betroffenen, der Menschen, die Diskriminierung erfahren haben und deren Geschichten zu erfahren.
[Folie wird eingeblendet: 3. Schritt: Auseinandersetzung mit hörenden Privilegien]
Der nächste Schritt ist dann, sich der eigenen hörenden Privilegien bewusst zu werden. Zu verstehen: »Ich bin hörend. Das bedeutet, ich habe eine große Anzahl von Privilegien.« Wir Minderheiten bekommen immer Labels – wir sind Taub. Aber es ist auch wichtig, sich als hörender Mensch oder Nicht-Tauber-Mensch klar zu werden: »Meine Positionierung ist: Ich bin hörend.« Und ich weiß, dass es eine Herausforderung ist, da beim Zuschauen und erstmals [auf Privilegien] aufmerksam gemacht werden, nicht in die Verteidigungshaltung zu gehen. Das ist anfangs normal und es braucht Zeit. Das ist wichtig, zu reflektieren und zu schauen: »Okay, warum gehe ich jetzt in diese Ablehnungshaltung erstmal rein?« Und zu erkennen, dass ich Privilegien habe und wie ich sie nutzen kann, um die Menschen anderer Communities, beispielsweise Taube Menschen, zu unterstützen. Dabei ist wichtig, bei dieser Unterstützung nicht in so eine Fürsorgehaltung zu gehen, sondern eher als Ally, als Verbündete*r zu fungieren. Wie kann ich meine Macht dazu nutzen, die Communities zu unterstützen? Denn wenn es nur ein ›für die Community‹ ist, dann kann es schon wieder in ein Ungleichgewicht der Macht gehen.
[Folie wird eingeblendet: 4. Schritt: Powersharing und meine Privilegien einsetzen]
wie vorhin erwähnt, geht es darum, sich seiner Machtposition bewusst zu werden und etwas davon abzugeben. Dafür gibt es den schönen Begriff des ›Powersharing‹. Sich zu überlegen: »Was sind meine Privilegien? Was meine Ressourcen? Und wie kann ich diese besser einsetzen?« An dieser Stelle möchte ich gerne übergehen zum kulturellen Bereich der Tauben Community. Es ist so, dass es leider sehr wenig Taube Künstler*innen gibt. Das System bietet da einfach wenig Angebote – beispielsweise Weiterbildung für Künstler*innen oder Schauspielschulen. Oder auch Angebote von Theatern – die sind eigentlich nicht für Taube Menschen da. Das heißt Taube Menschen müssen sich meist selbst durchkämpfen. Wenn jetzt ein Projekt die Idee hat: »Ach, ich würde gerne mit einer Tauben Person oder Tauben Personen zusammenarbeiten«, dann ist es wichtig, sich zu überlegen, was das Ziel davon ist. Was will ich erreichen damit? Denn häufig ist es so, dass sich Projekte denken: »Ach, na ja, so eine Zusammenarbeit, das wäre doch schön. Dann nennen wir das mal Inklusion. Ein inklusives Projekt.« Aber was dabei Inklusion ist, ist nicht so ganz klar. Denn wenn ein Konzept wirklich inklusiv ist, dann fängt es schon im Vorhinein an. Dann ist schon der Start, der Anfang des Projekts, die Gründung schon gemeinsam MIT Tauben Menschen. Und zwar auf Augenhöhe; gleichberechtigt. Häufig ist es jedoch so, dass dann hörende die Projektleitung übernehmen und wo sind dann die Tauben Menschen oder Tauben Künstler*innen? Die sind dann wieder nur in der Nebenrolle und das passiert im kulturellen Bereich leider häufig. Oder es werden Dolmetschende erst spät dazu bestellt und dann merkt man: »Oh, die Zeit wird knapp, kein Geld dafür da, usw.« Das ist immer wieder ein Problem. Da muss man schon im Vorhinein überlegen, wie man das verändern und besser machen kann. Wenn man mit Tauben Künstler*innen zusammenarbeiten möchte, ist es wichtig, Kontakt zur Tauben Community aufzubauen. Und im Hinterkopf zu behalten: »Diese Zusammenarbeit mit der*dem Tauben Künstler*in – was ist mein Ziel dabei? Was möchte ich damit erreichen?« Ich habe ja eben schon das Thema Inklusion erklärt: Was wir alles als inklusiv labeln, ist dann häufig gar nicht so toll. Es sollte darum gehen, Chancen zu geben. Chancen zum Netzwerken, Chancen für Weiterbildung. Darum, eine Brücke zu bauen zwischen der hörenden und der Tauben Welt. Da ist es wichtig, das Thema Audismus im Vorhinein schon in Augenschein zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Häufig ist es so, dass Taube Künstler*innen parallel zu ihrer künstlerischen Arbeit auch ganz viel Aufklärungsarbeit leisten müssen. Was bedeutet es Taub zu sein, was sind Gebärdensprachen? Sie sind immer in der Aufklärungsposition, und das sollte aber gar nicht ihre Aufgabe sein. Das ist nicht ihre Verantwortung. Das ist die Verantwortung der hörenden Menschen, die diese Zusammenarbeit wollen. Ihr müsst euch selbst mit diesem Thema auseinandersetzen. Was ist Audismus? Was sind die Diskriminierungen im Alltag? Wie ist das System aufgebaut…etc.
Nun komme ich zum Ende meines Vortrags. Ich hoffe, dass er euch einen kleinen Anstoß gab, dass er euch vielleicht schon auf ein paar Gedanken, Ideen gebracht hat, ihr etwas mehr Klarheit gewonnen habt, auch bezüglich eurer Fragen. Wenn ihr noch weitere Fragen habt, könnt ihr mich gerne kontaktieren. Zum Abschluss möchte ich aber gerne noch zwei Bilder zeigen.
[Folie wird eingeblendet: Darauf ist ein blühendes gelbes Rapsfeld zu sehen]
[Folie wird eingeblendet: Darauf ist ein Gemüsegarten mit verschiedenen Kohlsorten, Melden und Ringelblumen in unterschiedlichen Farben zu sehen]
Diese Bilder, die ich jetzt eben gezeigt habe: Das erste Bild zeigt eine Monokultur und das zweite Bild zeigt eine Polykultur. Und für mich ist es eine sehr schöne Metapher. Wir Menschen sind so unterschiedlich und bei einer Monokultur gibt es immer nur das Gleiche. Da gibt es einfach gar keine Vielfalt. Dann ist es doch besser, so eine Vielfalt zu haben wie in einer Polykultur: Verschiedene Menschen lernen Verschiedenes voneinander, tauschen sich zu unterschiedlichen Perspektiven aus und entwickeln sich so.
[Folie mit Zitat von Genie Gertz wird eingeblendet]
Dazu habe ich auch ein Zitat. Dieses Zitat sagt: »Je mehr Diversität wir haben, desto gesünder kann unsere Gesellschaft sein.« Das Zitat habe ich von einer Tauben Professorin, die auch zum Thema Audismus referiert und bei der ich ein Online-Seminar besucht habe.
Gut – vielen Dank fürs Zuschauen. Bleibt gesund und Tschüss!
[1] Wie bei der Selbstbezeichnung ›Schwarz‹ wird auch ›Taub‹ groß geschrieben. Vgl. zu Begriffen und Schreibweise den Beitrag von Silvia Gegenfurtner im Wörterbuch von Diversity Arts Culture oder auch Arndt/Ofuatey-Alazard (2011) sowie Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt (2005). »›Schwarz‹ und ›People of Color‹ sind politische, widerständige Selbstbezeichnungen und werden deshalb groß geschrieben.« (Richter 2012). Dagegen wird z.B. ›hörend‹ wie auch ›weiß‹ klein geschrieben, um den Konstruktionscharakter dominanter Zugehörigkeitsordnungen zu verdeutlichen, und diese von einer einfachen adjektivischen Verwendung abzugrenzen (vgl. ebda.).
[2] Vgl. zum Begriff ›Audismus‹ auch den Beitrag von Silvia Gegenfurtner im Wörterbuch von Diversity Arts Culture.
Arndt, Susan/ Ofuatey-Alazard, Nadja (2011): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster.
Eggers, Maureen M./Kilomba, Grada/Piesche, Peggy /Arndt, Susan (2005): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster.
Gegenfurtner, Silvia (o.A.): ›Taub‹ und ›Audismus‹. In: Diversity Arts Culture (o.A.): Wörterbuch. URL: https://diversity-arts-culture.berlin/diversity-arts-culture/woerterbuch [6.12.2023]
Richter, Regina (2012): Kritisches Weisssein in der Bildungsarbeit – wie rassismuskritisch umgehen mit der eigenen Rolle als weisse Lehrperson? Hintergrundtext zu einem Workshopkonzept. URL: https://blog.zhdk.ch/iaejournal/files/2012/12/AER6_richter.pdf [6.12.2023]